Seit einigen Jahren führen wir verschiedene Seminare zum Thema „Schießen bis 300m für Jäger“ durch. Da die Ergebnisse beim statischen Schuss oft sehr gut sind, wird uns auf den Seminaren häufig die Frage gestellt, ob ein Schuss bis 300m auf ein querbewegliches Ziel möglich ist und wie dies funktioniert. Um diese Frage zu klären und eine Praxisrelevanz herzustellen, wollen wir in diesem Artikel die Theorie hierzu erläutern und zeigen, wie man auf weiter Distanzen querbewegliche Ziele trifft.
Die einzige und derzeit bekannte jagdliche Schießdisziplin, bei der man über 60m auf laufende Scheiben übt, ist der schwedische Schießnachweis. In Schweden muss man als Nachweis der Treffsicherheit eine querbewegliche Elchscheibe freihändig auf eine Distanz von 100m treffen können. Hierzu gibt es in Schweden aber auch in Dänemark verschiedene Schießbahnen, wo man genau dies trainieren kann. Genannt sei an dieser Stelle der bei einigen deutschen Jägern berühmte dänische Schießstand ULFBORG. Weiterhin gibt es Dänemark auf dem Truppenübungsplatz Boris die Möglichkeit auf laufende Scheiben bis 300m zu üben.
Welche Theorie steckt hinter dem Schießen auf weite Distanzen?
Nähern wir uns doch zunächst vollkommen wertneutral der Theorie des Vorhaltes sowie Schießen auf weite Distanzen und schauen uns danach an, wie man es in die Praxis übertragen kann. Grundsätzlich verhält sich der Vorhalt auf bewegliche Ziele nahezu proportional zur Distanz des Schützen zum Ziel und ergibt sich aus der Geschossgeschwindigkeit. Als Berechnungsgrundlage haben wir ein gängiges Kaliber der 7,62 mm-Familie genommen, die 30-06 HORNADY GMX SP In. mit 165gr und einer Vo von 902m/s. Mit dieser Munition muss man einen Vorhalt von 17cm auf 50m wählen (ca. 8er Ring auf der DJV Scheibe Nr. 5), um bei dem Laufenden Keiler (3m/s) in der 10 abzukommen. Das gleiche Ergebnis erzielt man bei einer Distanz des Schützen zum Ziel von 100m mit 35cm Vorhalt (ca. höhe der lichter) und bei einer Distanz von 300m mit 113cm Vorhalt (halbe Länge des Wildkörpers vor der Scheibe).
So weit, so gut, allerdings darf man den Abfall des Geschosses auf die verschiedenen Distanzen nicht außer Acht lassen. Die genannten Patrone hat eine GEE von 188m, sprich auf 50m befindet sich das Geschoss 1,1cm oberhalb der Visierlinie, auf 100m 3,9cm oberhalb und auf 300m 23,6cm unterhalb der Visierlinie! Folglich hat man einen durchgehenden Visierbereich von 218m, um eine Trefferzone von 10cm (5cm oberhalb und unterhalb der Visierlinie) nicht zu über-/ unterschreiten.
Ebenso proportional, wie sich der Vorhalt zur Distanz des Schützens zum Ziel verhält, besteht eine Beziehung des Vorhalts zur Geschwindigkeit des Wildes. Oben wurde angesprochen, dass man einen Vorhalt von 17cm bei einer Scheibe mit einer Geschwindigkeit von 3m/s und einem Abstand von 50m wählen muss. Erhöht sich die Geschwindigkeit von 3m/s auf 6m/s muss auch der Vorhalt verdoppelt werden. Als Referenz für die Geschwindigkeiten von Schwarzwild gilt: 3m/s Troll, 6m/s eiliger Troll und 12m/s hoch flüchtig.
Folglich können wir als erste Feststellung des theoretischen Anteils festhalten, dass bei der Anwendung der richtigen Schießtechnik und des korrekten Vorhalts bis zu einer Distanz von 218m keine Haltepunktkorrektur (für den Geschossabfall) durchgeführt werden muss. Möchte man über den durchgehenden Visierbereich hinausschießen, so muss man neben dem Vorhalt noch zusätzlich den Haltepunkt noch oben verlegen, um den Geschossabfall auszugleichen!
Hieraus ergeben sich folgende Herausforderungen für den weiten Schuss auf bewegliche Ziele:
- Richtiges Einschätzen der Distanz zum Ziel,
- Richtiges Einschätzen der Geschwindigkeit,
- Richtiges Einschätzen des Vorhalts.
Wie schafft man es dennoch richtig auf weite Distanzen zu treffen?
Die oben genannten Unsicherheitsfaktoren lassen einen schnell zu dem Schluss kommen, dass ein waidgerechter Schuss auf bewegliche Ziel über 100m ausgeschlossen werden kann! Dennoch gibt es außerhalb jagdlicher Anwendungen, sportliche Disziplinen (z.B. im PRS Shooting oder NRL Hunting), in denen laufende Ziele bis 800m erfolgreich beschossen werden. Wie wird das gemacht?
Man muss Unsicherheitsfaktoren ausschließen!
Die Distanz zum Ziel kann man mit Hilfe von Entfernungsmessern ermitteln. Es empfiehlt sich nach Beziehen eines unbekannten Standes immer die Entfernungen zu messen, auch bei Entfernungen unterhalb von 100m, um hier auf der sicheren Seite zu sein!
Die Geschwindigkeit des Wildes kann man über das Einstudieren der Bewegungsmuster und den zugehörigen Referenzwerten gut schätzen (s.a. oben im Text). Um Bewegungsmuster richtig einzuschätzen kann man die diversen im Netz vorhandenen Videos benutzen. Diese vermitteln einen Eindruck davon, wie sich Wild im Troll, eiligen Troll und hoch flüchtig bewegt. Studieren von Bewegungsmustern ist übungsintensiv aber eine gute Form des Trockentrainings.
Der schwierigste Part ist das richtige Einschätzen des Vorhalts! Hierzu hat man sich bereits in den 1920er Jahren Gedanken gemacht. Damals hat sich die deutsche Optikindustrie in Berlin versammelt und einen Standard für die deutsche Optikindustrie erstellt. Im Detail hat man beschlossen das, dass damalige Absehen 17 (heute 1) als Standradabsehen zu verwenden ist. Zudem sollte das Absehen grundsätzlich in der ersten Bildebene verbaut werden. Das geniale an dem Absehen 1 (und den Varianten 4 bzw. 8) ist, dass der Abstand zwischen Zielstachel und einem der äußeren dicken Balke 3,5 Strich beträgt. 3,5 Strich entspricht 35cm auf 100m und 17,5cm auf 50m. Wenn wir uns an die oben genannten Vorhaltemaße für die Beispielpatrone zurückerinnern, erkennt man schnell, dass diese Bemessung zu den Vorhaltemaßen der Beispielpatrone passen. Diese errechneten Vorhaltemaße (passt ebenfalls zu vielen Patronen der 7mm Familie, die keine Magnumkaliber sind!) hat der Entwickler des Absehen 1 in die Bemessung einfließen lassen, um dem Schützen eine Hilfe für die Wahl des richtigen Vorhalts zu geben. Folglich muss man mit dem dicken äußeren Balken im Leben des Stückes anhalten, welches sich mit 3m/s bewegt und man wird im Leben abkommen.
Der Autor des Artikels hat diesen Gedanken aufgegriffen und zusammen mit der Firma Zero Compromise aus Österreich eine Abwandlung des Absehen 1 (das sog. Multi Hunting Reticle, kurz MHR) entwickelt, welches neben der Vorhaltemarke für „Troll“ zusätzlich Vorhaltemarken für den „eiligen Troll“ und „hoch flüchtig“ beinhaltet. Da sich Absehen 1, 4 und 8 „alter Industriestandard“ meist in der ersten Bildebene befinden, passt der Vorhalt mittels der Vorhaltemarken unabhängig von der Distanz des Schützen zum Ziel!
Somit ist es rein theoretisch möglich, mit Hilfe des Absehens ohne die Distanz des Schützens zum Ziel zu kennen, innerhalb des durchgehenden Visierbereichs stets im Leben abzukommen, wenn man das Bewegungsmuster (Geschwindigkeit) richtig eingeschätzt hat. Schießt man auf weitere Distanzen als den durchgehenden Visierbereich, muss man zusätzlich den Geschossabfall durch Drüberhalten oder Verstellen des Absehens ausgleichen! Hierbei helfen einem ebenfalls Absehen. Am Beispiel des MHR erkennt man eine MIL-Skala, die man benutzt, um das richtige Maß für das „Drüberhalten“ zu ermitteln. In unserem Beispiel fällt das Geschoss 23,6cm auf 300m, was 0,79 MIL oder 8 Klick entspricht. Wie sich der Vorhalt im Zusammenspiel mit dem „Drüberhalten“ darstellt, sieht man in der Grafik.
Im Bereich des Sportschießen treibt man dieses Prinzip auf die Spitze und versucht mit dieser Methodik auf bis zu 800m laufende Scheiben zu treffen. Im Sport verwendet man hierfür allerdings deutlich komplexere Absehen.
Die Technik des Mitschwingens bei großen Distanzen
In der Jagdschule oder auf dem Schießstand hört man häufig, dass man intuitiv schießen oder durch Sau schwingen soll. Wenn man jedoch fragt, was das bedeutet und wie die korrekte Technik hierzu aussieht, hört man oft nur betroffenes Schweigen. Grundsätzlich unterscheidet man im Sport zwischen den Schwungtechniken:
- Pull-Away
- Swing-Through
- Maintained-Lead/ Tracking
- Ambush
Das Schießen auf weite Distanzen auf querbewegliche Ziele findet in der Jagd normalerweise nicht statt. Die Schießtechniken für diese spezielle Form von Schüssen kommt aus dem Militär, da man dort häufig auf bewegliche Fahrzeuge schießt und die auf Distanzen bis 1,5 km und mehr. Die militärischen Schießtechniken hierzu heißen „Tracking“ und „Ambush“. Die anderen oben genannten Schwungtechniken kommen aus dem Flintenschießen bzw. dem dynamischen Büchsenschießen und haben auf kurze Distanzen eine Berechtigung.
Die am häufigsten angewendete Schießtechnik ist die sog. Ambush-Schießtechnik. Hierfür ist es wichtig ein Absehen zu haben, welches über Vorhaltemarken für verschiedene Geschwindigkeiten verfügt oder ein MIL-Absehen, welches errechenbare Referenzmarken für den Vorhalt hat. Kennt man die Entfernung zum Ziel und die Geschwindigkeit des Ziels, sieht die Schießtechnik vor, dass man mit der Haltemarke auf der Bewegungslinie des Ziels anhält und abkrümmt sobald das Ziel in die Haltemarke läuft. Philip Velayo hat hierzu ein hervorragendes Video gemacht:
Auf unserem letzten IHK Schießausbilderlehrgang haben wir die verschiedenen Schwungtechniken ausprobiert. Hierzu haben wir die Aspiranten zur Anwendung der Schwungtechniken auf den Laufenden gezwungen und das Ergebnis sieht man in der folgenden Abbildung:
Das Trefferbild ist die Ansammlung aller Treffer verschiedener Schützen. Wie die Grafiken eindeutig zeigen, ist die Ambush-Technik für die meisten Schützen sehr einfach umzusetzen. Hier sei nur erwähnt, dass wir die Anwendung der Schwungtechniken mit der ZC Hunter Optik (diese hat Vorhaltemarken) durchgeführt haben, was das Einschätzen des Vorhaltes erleichtert.
Ist es hiermit möglich auf 300m sicher zu treffen?
Am Beispiel des schwedischen Schießnachweises sieht man, dass es durchaus erforderlich sein kann auf 100m auf bewegliche Ziele treffen zu können. Jenseits der 100m hängt es stark von den Fähigkeiten des Schützen ab, ob man treffen kann. Trotz eines durchgehenden Visierbereichs von 218m in unserem Beispiel, ist es fraglich auf weite Distanzen einen waidgerechten Schuss abzugeben. Dazu kommt die richtige Anwendung der Schießtechnik für das Schießen mit Vorhaltemarken. Einer, der das Schießen auf weit Entfernte Ziele beherrscht, ist der erfolgreiche PRS Schütze Keno Johannsen (Waldfein). In verschiedenen Wettbewerben hat er bewiesen, dass es möglich ist auch weite Distanzen bewegliche Ziele zu treffen. Zudem sehe Sie in dem Video von Herrn Velayo ebenfalls, dass weite Schüsse auf bewegliche Ziele durchaus möglich sind.