Schussplatzierung – Zwischen Diskussion und Verantwortung
Kaum ein Thema im modernen Wildmanagement wird so kontrovers diskutiert wie die Frage nach der idealen Schussplatzierung beim Schalenwild. Während Herz-/Lungenschuss („Blattschuss“) seit Jahrzehnten als Standard gilt, beobachten Profis und Berufsjäger gerade in der professionellen Wildbretvermarktung einen Trend zu Kopf- und Nackenschüssen. Was sind die Gründe dafür, welche Risiken bergen Headshots wirklich – und wie hat neue Technik die Rahmenbedingungen verändert? Dieser Beitrag erklärt Hintergründe, stellt die wichtigsten Argumente gegenüber und gibt praxisnahe Empfehlungen für Jägerinnen und Jäger. Wir haben die Informationen aus einem Interview und einer gemeinsamen Jagd mit einem Englisch Jäger. Diese Informationen haben wir hier textlich für Sie aufbereitet.
Tradition: Herz-Lungenschuss als bewährte und sichere Methode
Der Blattschuss – also der Schuss auf die Kammer (Herz/Lunge) – wird in nahezu allen jagdlichen Ausbildungen als sicherster und tierschutzgerechter Schuss gelehrt. Auch kleine Fehler bei der Schussabgabe führen meist schnell zum Tod des Tieres. Gerade für Freizeitjäger, die kein Risiko eingehen wollen und nicht regelmäßig schießen, bietet der Blattschuss die größte Fehlertoleranz.
- Vorteile:
- Hohe Trefferwahrscheinlichkeit, auch bei kleinen Abweichungen
- Meist kurze Flucht, schneller Tod durch Blutverlust und Organversagen
- Für die Fleischgewinnung ausreichend: Etwa 20–25% Gewichtsverlust durch den Schusskanal im Bereich von Schulter und Rippen, aber immer noch hoher Wildbretanteil
- Risiko von Fehl- und Querschüssen deutlich geringer
- Nachteile:
- Wildbretverlust im Bereich der Schulter und Rippen (für Wildbrethändler relevant)
- Bei robusten Arten (z. B. Sika- oder Rotwild) ist mitunter eine längere Nachsuche nötig, da auch ein Schuss durch die Lunge nicht immer zum sofortigen Zusammenbrechen führt
Ökonomische Realität: Warum Berufsjäger Kopf- und Nackenschüsse setzen
In der professionellen Wildvermarktung – etwa bei Berufsjägern oder Abschussunternehmen mit hunderten Tieren pro Jahr – werden hohe Ansprüche an das Wildbret gestellt. In Engeland wurden wir Zeugen bzw. waren wir Teil von einer sog. Culling-Jagd. Hier ist es so, dass Game Handling Establishments (Wildbrethändler) verlangen oft makellose, „A1“-Karkassen mit minimalem Schusskanal. Kopf- oder Nackenschüsse führen bei erfolgreichem Treffer zu Wildbret in Top-Qualität ohne Verlust im wertvollen Rücken- und Schulterbereich.
- Der Preis für einen Kammer-Schuss liegt oft bei 0,50 €/kg, Kopf- oder Nackenschuss bringt bis zu 2,50 €/kg – das macht bei Rotwild-Karkassen schnell mehrere hundert Euro Unterschied pro Tier.
- Besonders bei Überangebot (zu hohe Wildbestände, viele Lieferanten) diktiert der Markt die Bedingungen. Nur A1-Ware wird entsprechend bezahlt.
- Aber: Wer für Händler arbeitet oder im Auftrag cullt, steht unter ökonomischem Druck, riskiert aber höhere Ausfallquoten und muss die Risiken besonders verantwortungsvoll abwägen.
Ethik und Tierschutz: Die Risiken des Kopfschusses
Der Kopfschuss gilt als „Alles oder Nichts“-Schuss: Gelingt er perfekt, bricht das Wild sofort zusammen, es gibt keinen Wildbretverlust. Doch schon kleinste Fehler, Unruhe oder Bewegungen des Stücks führen zu schwersten, oft nicht sofort tödlichen Verletzungen – von Kieferschuss über Augenschuss bis zu schrecklichen Gesichtsverletzungen. Solche Fehlschüsse sind immer ein Tierschutzproblem.
- Risiken & Fallstricke:
- Kopf ist ein kleines Ziel, ständig in Bewegung (Schütteln, Wechseln der Blickrichtung)
- Fehlertoleranz praktisch null: Schon wenige Millimeter daneben bedeuten schwerste Leiden
- Oft schlechte Nachsuche, da das Wild noch flüchten kann – mit Kieferschuss leidet es qualvoll
Praxisempfehlung:
Kopfschuss nur auf ruhiges, stillstehendes Wild auf kurze Distanz (idealerweise unter 100 m).
Ideale Schussposition: Frontal oder von hinten auf den Hinterkopf – niemals seitlich, da sonst hohes Risiko für Streif- oder Kieferschüsse.
Wer ungeübt ist oder keine absolute Sicherheit im Schuss hat, sollte davon Abstand nehmen.
Alternative: Nackenschuss – Vorteile und Grenzen
Der Nackenschuss ist für viele Berufsjäger die Alternative zum Kopfschuss. Vorteile: Das Nackenmark und die großen Blutgefäße liegen zentral, das Ziel ist je nach Tierart größer als der Kopf. Ein korrekt platzierter Nackenschuss führt meist zu sofortigem Zusammenbruch des Stücks, das Wildbret bleibt unversehrt.
- Vorteile:
- „A1-Karkasse“: Kaum Wildbretverlust, vor allem wertvolle Rückenpartien bleiben erhalten
- Bei Fehlschuss ist das Wild meist nicht mehr fluchtfähig, kann schnell nachgefasst werden
- Auch für Händler und Profis geeignet, wenn sehr hohe Präzision vorhanden
- Risiken:
- Das Ziel bleibt klein, Kopf kann sich weiter bewegen als Rumpf
- Bei zu tiefem oder seitlich versetztem Schuss können schwere, aber nicht tödliche Verletzungen entstehen – daher immer sicherstellen, dass ein schneller Folgeschuss möglich ist
Empfehlung:
Immer auf ruhende, stillstehende Stücke.
Hochpräzise Kaliber und starke Geschosse verwenden, vor allem bei Verwendung bleifreier Munition.
Technik & Distanz: Reichweite, Kaliber und Zielwahl
Die Trefferzone für Kopf- oder Nackenschuss ist deutlich kleiner als beim Kammerschuss. Kleinste Fehler beim Distanzschätzen, Wind oder Zielbewegung wirken sich direkt aus. Die Praxis zeigt: Je weiter die Distanz, desto größer das Risiko – und desto mehr spricht für den klassischen Kammerschuss.
- Head- oder Nackenschuss nur auf kurze Distanz (unter 100 m, besser 60–80 m)
- Keine Schüsse bei Unsicherheit, Wind, Dämmerung oder starker Bewegung
- Wer auf A1-Karkassen für Händler zielt, muss eigene Limits kennen und einhalten
Nachtjagd & moderne Optiken: Technik schafft Möglichkeiten – und Risiken
Neue digitale Zielfernrohre, Wärmebild- und Nachtsichttechnik ermöglichen heute rechtssichere Schüsse in der Dämmerung und Dunkelheit. Dadurch steigt der Anteil der Strecke, die in den letzten 20 Minuten des erlaubten Zeitfensters fällt, erheblich an – besonders im Profieinsatz.
- Über 80 % der Profistrecken werden in der letzten halben Stunde geschossen – dann, wenn das Wild aktiv ist
- Moderne Technik erleichtert die Identifikation und Nachsuche, erhöht aber das Risiko von Fehlabschüssen (z. B. Verwechslung von Tieren, schlechte Schussfeld-Erkennung)
Sicherheit geht vor:
Immer Backstop prüfen (was ist hinter dem Ziel?), keine Schüsse auf unklare Silhouetten.
Dokumentation per Foto, Video oder App für Rechtssicherheit.
Fazit & Empfehlungen: Schussplatzierung verantwortungsvoll wählen
- Für Freizeitjäger und alle, die das Wildbret selbst verwerten: Klassischer Kammer- (Blattschuss) ist der sicherste und tierschutzgerechteste Schuss, selbst wenn etwas Wildbret verloren geht. Die Sicherheit und das Leidensvermeidung stehen an erster Stelle.
- Für Berufsjäger und Profis im Handelsauftrag: Nackenschuss ist die verantwortungsvollere Alternative zum Kopfschuss, wenn höchste Präzision und Routine vorliegen. Kopfschuss bleibt die Ausnahme und ist riskant.
- Bei jeder Schussplatzierung gilt: Kein Schuss ohne sichere Trefferchance, nur auf ruhende Stücke, mit maximaler Präzision und klarer Identifikation.
- Moderne Technik hilft, ersetzt aber nie Verantwortung und Selbstdisziplin.
Schlusswort:
Machismo, Ehrgeiz oder Marktdruck dürfen nie die Sicherheit und das Tierwohl verdrängen. Tierschutzgerechtes Jagen verlangt, die eigenen Grenzen zu kennen und Verantwortung zu übernehmen – für sich selbst, das Wild und die Gesellschaft.